Vorsicht: Trash TV!

Sollte sich jemals eine außerirdische Lebensform dazu entscheiden, einen der langweiligen äußeren Spiralarme der Milchstraße erforschen zu wollen und dabei das Unglück haben, die Erde zu entdecken, können wir nur hoffen, dass die erste Sendung, die sie zu sehen bekommen, nicht zum Trash TV gehört. Sie würden vermutlich schnurstracks zu ihrem Schiff zurückkehren und fliehen, sobald sie aus ihrer Schockstarre erwacht sind. Trash TV heißt nämlich nicht ohne Grund so. Der metaphorische Mülleimergeruch, der von diesem Serienformat ausgeht, beinhaltet unter anderem giftige Gase der Fremdscham, die bewirken, dass man sich wahlweise
a) vor Lachen kreischend auf dem Boden wälzen muss,
b) den Kopf an der Tischplatte aufschlagen möchte oder
c) und andere sonst auf irgendeine Weise gefährden könnte.
Ich vertrete übrigens die These, dass Fremdscham immer dann entsteht, wenn die Person, um die es geht, selbst scheinbar kein Schamgefühl spürt oder besitzt. Und zwar wirklich gar keins.
Ich habe natürlich Recherche betrieben, um auch wirklich einen glaubwürdigen Artikel schreiben zu können. Sich diesen Abend in Erinnerung zu rufen, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit zwar auch meine übrig gebliebenen Gehirnzellen in die Tiefen des Wahnsinns zerren, aber was tut man nicht alles, wenn man zu faul für Hausaufgaben ist. Ich habe also an besagtem Abend eine Freundin vor den Laptop geschleift und mit ihr angeschaut, was wir so gefunden haben.
Spoiler: Das Popcorn war das Beste daran. Das und natürlich unser Trinkspiel. Wir haben immer getrunken, wenn etwas besonders Dummes passiert ist, um nicht vor Fremdscham zu sterben (s. oben). Ich kann mich an die Hälfte des Abends nicht erinnern, aber vielleicht ist das auch besser so.
Angefangen hat alles mit „The Beauty and the Nerd“, wovon wir Gott sei Dank nur kleine Teile auf Youtube gefunden haben. Die Videos waren fünf bis fünfzehn Minuten lang und ich habe noch nie so viel Dummheit auf einmal gesehen. Es war vielleicht auch ein etwas harter Brocken für den Anfang.
Für all die Glücklichen hier, die es nicht kennen, eine kurze Zusammenfassung:
Acht aufgespritzte Gossip-Mobbing-Barbiepuppen, die sich jede für die nächste Miss Universe halten, werden mit acht notgeilen Vollnerds, unheimlich fehl am Platz, aber wenigstens intelligent, in eine Luxusvilla auf Ibiza gesperrt, immer eine Beauty und ein Nerd zusammen in einem Zimmer (und einem Bett). Ziel ist es (natürlich), sich zu verlieben, aber ich hege die starke Vermutung, dass ausnahmslos alle Kandidaten dem Reiz des Geldes (Hauptgewinn: 50.000 Euro) gefolgt sind. Sonderziel für die Mädels: Schlauer werden. Ich zitiere:
Interviewer: „Weißt du, wo Amerika liegt?“
Beauty: „Hm. Ne. […] Vielleicht bin ich nicht so intelligent wie die, aber… ja, ich seh´ gut aus, Hahaha“
Sonderziel für die Nerds: Ein Platz in der Gesellschaft, nehme ich mal an. Ich sage nur: Socken in Sandalen.
Außerdem versuchen sie, ihren Partnerinnen das Zauberwort Grammatik näher zu bringen.
(„Bin immer neidisch dran.“)
Auszug aus dem Trash TV Abend:
Wir sitzen vor dem Laptop und starten den ersten Teil der ersten Folge von „Beauty and the Nerd“.
Schon nach zwei Minuten Vorschau hat sich der Inhalt der Flaschen ein gutes Stück reduziert, ich liege weinend auf dem Boden.
„OH GOTT WAS ZUM ***** IST DAS!?“, kommt es von meiner Freundin und sie greift nach ihrem Drink.
Einer der Nerds hat doch tatsächlich Intelligenz als Kriterium für seine Partnerin angegeben. Da kann er lange suchen, denke ich, ein Gehirn ist ein seltenes Gut in dieser Villa. Jedes Pantoffeltierchen hat einen höheren IQ als alle Beauties zusammen.
Fünfzehn Minuten später:
„Wie konntest du mir das antun!?“
„Du fandest die Idee vorhin noch großartig.“
„Das war, bevor dieses…“, sie sucht nach Worten und macht eine vage Handbewegung in Richtung Bildschirm, wo gerade ein „Nerd“ mit Zipfelmütze und angeklebten Elfenohren einen Striptease hinlegt, „das da passiert ist.“
Ihre Wangen sind vor Scham gerötet. Vielleicht auch vom Alkohol. Ich habe ihr die Vodkaflasche vor ein paar Minuten weggenommen, schließlich brauche ich sie noch eine Weile bei Bewusstsein.
Dreißig Minuten später:
Meine Freundin drückt auf Pause, ihr Blick hängt starr auf dem Bildschirm. Sehr langsam dreht sie sich zu mir um. Ihr Finger hat sich erhoben und dient nun dazu, anklagend auf den Laptop zu zeigen.
„Sie hat gesagt…“
„Ich weiß, ich hab’s gehört.“, gebe ich ebenso fassungslos zurück. Ihr rollt eine einzelne Träne über die Wange. Ein verzweifelter Schluchzer entweicht ihrer Kehle, sodass ich kaum verstehe, was sie als nächstes sagt.
„Sie h-hat gesagt, Ko … Koalabären kommen vom …“
„Vom Nordpol, ja.“, vervollständige ich tonlos.
„Und das seien doch sowas wie Eisbären!“ Ich nicke und weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Schließlich tue ich beides. Mein hysterischer Lachkrampf wird von Schluckauf unterbrochen. Ich greife nach einer neuen Flasche.
Weitere zehn Minuten später muss ich wieder weinen. Diesmal ist wirklich nichts Lustiges mehr an ihrer Dummheit.
Die sogenannte Beauty-Challenge ist, dass sich all diese ungebildeten Menschen ein bisschen Grundschulwissen aneignen und das dann eine paar Kinder vermitteln. Grundschulkindern, wohlgemerkt, die mir furchtbar leidtun, weil sie mit so vielen Falschinformationen gefüttert werden. Die Beauties scheinen nämlich mehr Zeit in ein sexy eng anliegendes Lehrerinnen Outfit mit Fensterglasbrille und zu kurzem Rock investiert zu haben, als darin, ihre enormen Wissenslücken… naja, vielleicht nicht gerade zu füllen, das wäre dann doch ein bisschen viel verlangt. Sagen wir, sie fangen an, den riesigen Wissenslücken-Spalt im Boden ihrer Gehirnrinde mit ein paar Handvoll Kieseln zuzuschütten. So mit Schutzhandschuhen. Weil sie sich ja nicht dreckig machen wollen.
Ein Haufen Kinder wird jetzt jedenfalls auf ewig denken, der Mond sei der erste Planet des Sonnensystems. Und ein paar andere… naja.
Tränen laufen mir in Strömen übers Gesicht, während ich das Zitat vor mich hin murmele, wieder und wieder, wie ein Mantra:
„‘Das Sonnensystem is‘ a System, das aus einzelne Planeten besteht, die irgendwie sich drehen… um die Erde herum. Hahahaa! Stimmt’s, oder?‘ STIMMT’S, ODER??!!“
Meine Freundin ist so phänomenal f…king fassungslos, dass sie nicht einmal mehr heulen kann. Sie ist in eine Art Schockstarre verfallen und scheint zu überlegen, ob sie mit den anfangs genannten Außerirdischen den Planeten verlassen soll. Schließlich ext sie einfach die Flasche und kippt um.
Nun, liebe Leser, das ist so ziemlich der Moment, ab dem ich mich an nichts mehr erinnern kann. Ich bin mir noch immer nicht sicher, ob es am Alkohol lag oder letztendlich eine Schutzfunktion meines maßlos überforderten Gehirns war, aber ich bin so oder so froh darum. Auch wenn mir klar ist, dass das alles inszeniert ist. Ob den Menschen, die von den Sendungsmachern für sowas missbraucht werden, wirklich klar ist, was da mit Ihnen gemacht wird? Bleibt einem nur der Trost, dass die ja schon groß sind und wissen sollten, was sie da tun.
Und falls sich jemand gefragt hat: Nein, ich habe mir die Zitate nicht ausgedacht. Leider ist das, was ich zitiert habe, tatsächlich Wort für Wort das, was sie gesagt haben. Alles andere ist natürlich frei erfunden und völlig übertrieben dargestellt. Bitte nicht nachmachen. Wir haben gelernt: Alkohol und Trash TV sind auch keine Lösung, weder unter noch über 18. In beiden Fällen kann übermäßiger Genuss gefährlich werden – für Mitmenschen, Laptops und für einen selber.
Tjorven Paulmann
Bild von andreas160578 auf Pixabay
Cooler Artikel!!! Meine Empfehlung: Wer sich, bevor er sich an ganze Folgen ranwagt, lieber noch etwas auf das Kommende im Trash-TV vorbereiten will, sollte sich mal den YouTube-Channel „Annikazion“ ansehen. Hier werden regelmäßig lustige und unterhaltsame Videos zu allen möglichen Fernsehsendungen hochgeladen von Kika-Sendungen wie Jungs- oder Mädchen-WG bis hin zu knallhartem Trash-TV wie zum Beispiel „Love Island“. Annikazion (Annika) kommentiert diese Sendungen nämlich auf sehr lustige Art und Weise und gibt einem einen objektiven Blick auf das Ganze.
Aber Achtung: Die Videos zu „Love Island“ sind wohl nicht jedermanns Geschmack und sollten wohl nicht angeguckt werden, wenn einem schwarzer Humor oder perverser Schnick-Schnack nicht zusagt.